Vor 125 Jahren wurde in Köln eine weltbewegende technische Idee Realität. Nicolaus August Otto schuf 1876 den ersten entwicklungsfähigen Viertaktmotor der Welt. Durch den von N.A. Otto ausgelösten motorischen Impuls veränderte sich das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben entscheidend.
Mit seiner Erfindung erschloss N.A.Otto die Voraussetzungen für eine weltweite Motorisierung zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Das in einer Verbrennungskraftmaschine erstmals von ihm angewandte Arbeitsprinzip „ansaugen, verdichten, verbrennen und ausschieben“ blieb bis heute im Motorenbau unverändert. Auch Rudolf Diesel baute 1897 auf diesem Prinzip auf, ebenso Felix Wankel mit seinem Rotationskolbenmotor.
Wir alle profitieren vom Verbrennungsmotor. Ohne ihn ist unser heutiges Leben kaum noch vorstellbar. Viele nutzen das Auto als Fortbewegungsmittel und damit zwangsläufig auch Straßen und Autobahnen, bei deren Erstellung unzählige Verbrennungsmotoren zum Einsatz kamen. Der Ausfall von Nutzfahrzeugen bei einem Streik und die damit schnell eintretenden Versorgungsengpässe, nicht nur in der Industrie, machen die Wichtigkeit des Verbrennungsmotors sehr deutlich. Und wer denkt schon darüber nach, wenn in einer Klinik das Leben eines Patienten nicht nur von der Kunst der Chirurgen, sondern auch von einem Verbrennungsmotor abhängt, der bei Stromausfall die so lebenswichtige Energieversorgung sicherstellt.
Die Gewinnung mechanischer Energie ist ein uraltes Ziel der Menschheit. Jahrtausende war man auf menschliche und tierische Muskelkraft, auf Wind- und Wasserkraft angewiesen. Erst durch die Verwirklichung der Dampfmaschine 1769 ging ein Traum in Erfüllung. Sie war lange die einzige Kraftmaschine, die in Lokomotiven, Schiffen und Kraftzentralen zum Einsatz kam.
Es war daher verständlich, dass 1860 der erste mit Leuchtgas betriebene Verbrennungsmotor von Lenoir in Frankreich größtem Interesse begegnete.
Es handelte sich um einen doppeltwirkenden Motor „ohne Verdichtung“ des Gas-Luftgemisches. Die Zündung erfolgte bereits mittels Hochspannungs-Zündanlage. Informationen über diese Neuentwicklung gelangten nach Köln. Dadurch angeregt begann der 1832 in Holzhausen an der Haide in Rheinland-Pfalz geborene und seit 1853 in Köln lebende Kaufmann Nicolaus August Otto sich ebenfalls mit der Verbrennungsmotorentechnik zu befassen.
Entscheidend für den Durchbruch seiner technischen Begabung war der Motor von Lenoir. Bei Versuchen an einem Nachbau erkannte Otto bereits 1861 die Wirkung der Verdichtung eines Kraftstoff-Luftgemisches vor der Verbrennung. Der daraufhin von 0tto1862 gebaute Viertaktmotor eigener Konstruktion mit verdichteter Ladung ließ sich jedoch technisch noch nicht verwirklichen. Durch explosionsartige Verbrennungen wurde der Motor total zerstört. Damit war der erste Versuch zur Verwirklichung des Viertaktverfahrens fehlgeschlagen.
Otto suchte nun neue Wege. Erst die Idee, den immer gleichmäßig wirkenden Luftdruck technisch verwertbar zu machen, schien Erfolg zu versprechen. 1864 gründeten der Kaufmann Otto und der Ingenieur Eugen Langen in der Kölner Altstadt die N.A.Otto & Cie., die erste ausschließlich zum Bau von Verbrennungsmotoren bestimmte Fabrik der Welt, die heutige DEUTZ AG. Sie entwickelten einen nach dem atmosphärischen Prinzip arbeitenden Gasmotor, der als “Atmosphärische Gaskraftmaschine" mit einer Leistung von 0,5 PS bei 80 U/min. 1867 auf der Weltausstellung in Paris als die wirtschaftlichste Antriebsmaschine für das Kleingewerbe mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde.
Diese Motorbauart wurde mit Leistungen von 0,25 bis 3 PS auch durch Lizenzvergaben ins Ausland recht erfolgreich. Sie besaß eine Schiebersteuerung mit Gasflammenzündung.
Der Betrieb in der Kölner Altstadt erwies sich bald als zu klein. Man kaufte daher 1869 auf der rechtsrheinisch gelegenen Seite in Deutz ein großes Gelände, baute eine neue Fabrik und nannte sich 1872 ,,Gasmotoren-Fabrik Deutz AG“ (GFD). Gottlieb Daimler wurde technischer Direktor, Wilhelm Maybach Chef der Motorenkonstruktion. Durch die Leistungsgrenze von 3 PS bei den atmosphärischen Gaskraftmaschinen angeregt, gelang es N.A.Otto 1876 endlich, das Viertaktverfahren zu verwirklichen. Mit seinem Viertakt-Gasmotor begann von Köln aus die Motorisierung der Welt.
Auch dieser Motor besaß noch eine Schiebersteuerung mit Gasflammenzündung. Ein am 9. Mai 1876 aufgenommenes lndikator-Diagramm gilt als Geburtsurkunde des Viertaktmotors.
Geschützt wurde das Viertaktverfahren durch das Patent DRP 532 vom 13. März 1878. Eingetragen war als Anfang des Patentes der 4. August 1877 mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 5. Juni 1891.
England, Frankreich, Österreich Italien, Belgien und Dänemark erhielten Lizenzen. Die Steigerung der Leistung, die Weiterentwicklung für verschiedene Kraftstoffe und Verwendungsarten sowie die Verringerung des Leistungsgewichtes war nur noch eine Frage der Konstruktion, nicht mehr des Arbeitsverfahrens. Während in den 15 Jahren vor 1876 die Leistung pro Motor bis auf wenige Ausnahmen nicht über 3 PS hinauskam, stieg sie in den 20 Folgejahren auf annähernd 1000 PS. Als weiterer wichtiger Schritt folgte der Motor für flüssige Kraftstoffe mit Vergaser und einer von N.A.Otto 1884 entwickelten ,,Niederspannungs-Magnetzündung".
Nun war auch der Einsatz von Verbrennungsmotoren unabhängig vom Gasnetz möglich.
Die Produktion von Viertaktmotoren bei der GFD stieg bezogen auf die damaligen Verhältnisse gewaltig. Es gab Jahre mit bis zu 96 % Dividende. Die Gasmotoren-Fabrik Deutz wurde zur angesehensten Motorenfabrik der Welt. Doch Erfolg erzeugt auch Neider. So entwickelte sich ab 1882 sehr schnell ein Kampf um das patentrechtlich geschützte Viertaktverfahren. Während der atmosphärische Motor wegen seiner geringen Leistung nur wenige Nachahmungen fand, reizte die absehbare Bedeutung des neuen Verbrennungsverfahrens und die sich abzeichnenden Erfolge des Viertaktmotors einige Firmen zum Nachbau. Für den Bau und Vertrieb fehlte ihnen jedoch die rechtliche Grundlage, solange das Patent Nr.532 Gültigkeit hatte.
Es galt also, dieses Patent anzugreifen und wenn möglich, zu vernichten.
25 Patentprozesse wurden in Berlin, Wien, Paris und London geführt. Die Frage ,,hat es vor Ottos Viertaktmotor, also vor 1876 einen Motor mit verdichteter Ladung gegeben" wurde gerichtlich stets verneint. Auch die sehr dürftigen Behauptungen des Uhrmachers Reithmann wurden abgewiesen.
Doch nach Prüfung vieler Patente stieß man auf die Schrift des französischen lngenieurs Beau de Rochas, der bereits 1862 die Viertaktarbeitsfolge beschrieben hatte, jedoch mit Selbstzündung des Gemisches. Niemand hatte bis dahin von diesem Vorschlag Notiz genommen. Englische Patentrichter verneinten daher die patenthindernde Wirkung der Schrift, das Deutsche Reichspatentamt erkannte sie jedoch an und hob den Patentanspruch 4 des Patentes DRP 532 auf. Nachfolgend zum besseren Verständnis ein Auszug aus der
Patentschrift:
1. In einem geschlossenen Raume brennbare, mit Luft gemischte Gase vor ihrer Verbrennung mit einer anderen Luftart in solcher Weise zusammenzubringen, dass die an einer Stelle eingeleitete Verbrennung von Gas- zu Gaskörperchen verlangsamend sich fortpflanzt, die Verbrennungsprodukte sowohl die sie umhüllende Luftart durch die erzeugte Wärme sich ausdehnen und so durch Expansion Betriebskraft abgeben.
2. Die unter 1 ausgesprochenen Wirkungen zu erzeugen mit Gasarten, welche bis zur eintretenden Verbrennung atmosphärische Spannung haben.
3. Die unter 1 ausgesprochenen Wirkungen zu erzeugen mit Gasarten, welche vor der Verbrennung mehr als atmosphärische Spannung haben.
4. Die Wirkungsweise des Kolbens im Cylinder eines Gasmotors mit Kurbelbewegung so einzurichten, dass bei zwei Umdrehungen der Kurbelwelle auf einer Seite des Kolbens die nachstehenden Wirkungen erfolgen:
a) Ansaugen der Gasarten in den Cylinder,
b) Kompression derselben,
c) Verbrennung und Arbeit derselben,
d) Austritt derselben aus dem Cylinder.
5) Die Konstruktion der Maschine, wie beschrieben.
Diese Ansprüche lassen unschwer erkennen, dass sie der Gasmotoren-Fabrik Deutz praktisch ein Monopol bis mindestens Juni 1891 für die Motorenentwicklung einräumen würde. Aufgehoben wurden 1886 letztlich auch die Ansprüche 1 bis 3 auf die gesteuerte Verbrennung, da auch die GFD keine schlüssigen Beweise für die behauptete Verlangsamung der Verbrennung durch inhomogene Ladungsverteilung beibringen konnte.
Der übriggebliebene Anspruch 5 stellte nun keine ernsthafte Behinderung zukünftiger Motorenentwicklungen dar. Der Ausgang der Patentprozesse war für die GFD ein Verlust, für die Technik und Industrie jedoch ein Gewinn. Ältere Firmen nahmen den Verbrennungsmotorenbau als weiteren zukunftsträchtigen Zweig auf, neue Unternehmen wurden gegründet. 1890 lassen sich neben der GFD bereits rund zwanzig Firmen mit einer Motorenproduktion nachweisen. Bereits auf der Weltausstellung 1889 in Paris waren rund 50 Motoren ausgestellt, die nach Ottos Viertaktverfahren arbeiteten. Eine weitere Expansion im Motorenbau verursachte ab 1897 der Dieselmotor, aufbauend auf dem Viertaktverfahren von N.A. Otto, nur mit wesentlich höherer Verdichtung und Selbstzündung.
Der technische Fortschritt im Motorenbau war nicht mehr aufzuhalten. Mit der Umgestaltung des stationären Gasmotors zum schnelllaufenden Fahrzeug- und Flugzeug-Benzinmotor durch Gottlieb Daimler, Wilhelm Maybach und Karl Benz setzte 1886 die Entwicklung des Leichtmotors ein. Durch zahllose Verbesserungen der Konstruktion, der Bearbeitungsmethoden, der Werkstoff-, Schmier- und Kraftstofftechnik und nicht zuletzt neuer Einspritztechniken sowohl beim Otto-, wie auch beim Dieselmotor wurden bezüglich Leistung, Gewicht, Betriebssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit wesentliche Fortschritte erzielt. Hatte noch 1867 die atmosphärische Gaskraftmaschine von Otto und Langen ein Leistungsgewicht von 1400 kg/PS, so reduzierte es sich 1878 bereits auf 500 kg/PS. 1939 erreichte ein Hochleistungs-Flugmotor bereits einen Wert von 0,22 kg/PS. Unverändert geblieben sind jedoch die 1876 durch Nicolaus August Otto erstmals verwirklichten vier Takte geblieben: ansaugen, verdichten, verbrennen und ausschieben. Das Viertaktverfahren hat heute neben dem Zweitaktverfahren insbesondere im Kraftfahrzeugwesen Priorität.
An Ehrungen Ottos hat es nicht gefehlt. Bereits kurz nach der Serieneinführung des Viertaktmotors wurden die Motoren der GFD als ,,Ottos neuer Motor" vermarktet.
Zum 300jährigen Bestehen der Universität Würzburg 1882 verlieh ihm die philosophische Fakultät die Ehrendoktorwürde.
Die größte Ehrung allerdings wurde ihm zuteil, als 1936 der VDI verkünden ließ, in Zukunft alle Verbrennungsmotoren ,,Ottomotoren" zu nennen, die das aus Kraftstoff und Luft zusammengesetzte Gemisch ansaugen und verdichten, um es in Anschluss mittels einer besonderen Zündvorrichtung zu verbrennen. Der VDI hat damals gebeten, dieser Anregung zu folgen und dadurch bewirkt, dass die Bezeichnung ,,Ottomotor" in den technischen Sprachschatz aufgenommen wurde, nachdem das Ausland schon lange vorher die gleiche Kennzeichnung benutzt hat. Die Realisierung des Vorschlages ist heute im DIN-Blatt 1940 nachzulesen. Dort heißt es:
Ottomotor: Verbrennungsmotor, bei dem die Verbrennung des verdichteten Kraftstoff-Luftgemisches durch zeitlich gesteuerte Fremdzündung eingeleitet wird.
Mit einbezogen wurde auch das Zweitaktverfahren.
Eine weitere Ehrung anlässlich der 100jährigen Automobilgeschichte der USA 1996 sollte nicht unerwähnt bleiben. Am 22. Oktober wurde Nicolaus August Otto gemeinsam mit Wilhelm Maybach in die Automotive Hall of Fame in Detroit aufgenommen. Damit gehört er in die Reihe der Persönlichkeiten, die sich weltweit um die Automobilindustrie verdient gemacht haben.
Die Entwicklungsgeschichte des Verbrennungsmotors von 1860 bis in die heutige Zeit umfasst mit über 100 Exponaten die historische Motorensammlung der DEUTZ AG in Köln. Sie ist zur Zeit jedoch der Öffentlichkeit nur bedingt zugänglich. Ein neues Museum ist geplant.
Im Geburtshaus von N.A.Otto in Holzhausen an der Haide dagegen existiert eine Motorensammlung als Erinnerung an den Pionier der Motorentechnik.
Auch das Landesmuseum Koblenz auf der Festung Ehrenbreitstein dokumentiert neben der Wirtschafts- und Sozialgeschichte der dortigen Region seit 1981 in der Abteilung ,,Berühmte Konstrukteure aus Rheinland-Pfalz" wichtige Aspekte der Technikgeschichte. Neben so bekannten Rheinland-Pfälzern wie August Horch, Carl Clemens Bücker, Michael Thonet, Michael Pfaff und August Horch existiert seit 1987 auch eine Ausstellungseinheit zu Nikolaus August Otto mit interessanten Motorexponaten aus der Zeit von 1873 bis 2000. Sie wird voraussichtlich im August 2001 in neuer Gestaltung wiedereröffnet.